Die fortschreitende Flächenversiegelung durch Bebauung führt vielerorts zur Überlastung der öffentlichen Kanalsysteme bei Starkregenereignissen. Der kostenintensive Neubau oder die Erweiterung der öffentlichen Kanäle wäre die Folge, kann aber von den Kommunen und Gebietskörperschaften oftmals nicht geleistet werden.
Zur Lösung des Problems ist auf Grundstücken der Einsatz verschiedener Maßnahmen der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung – wie zum Beispiel Versickerungsanlagen, Stauraumkanäle, Regenrückhaltebecken oder die Regenwasserrückhaltung auf Flachdächern – möglich. So gelten in vielen Orten mittlerweile Beschränkungen für das Einleiten von Regenwasser in den öffentlichen Kanal, die eine dezentrale Regenwasserbewirtschaftung auf dem Grundstück erforderlich machen.
In einigen Städten und Kommunen wird bereits das Konzept der Schwammstadt1 – auch Sponge-City genannt – umgesetzt. Hierbei handelt es sich um ein Konzept der Stadtplanung, bei dem anfallendes Regenwasser möglichst nicht über die Kanalisation abgeleitet, sondern durch verschiedene Maßnahmen der Regenwasserbewirtschaftung lokal aufgenommen, zwischengespeichert und wieder dem natürlichen Wasserkreislauf zugeführt wird.
Zusätzlich soll durch Begrünungsmaßnahmen, wie zum Beispiel Dach- und Fassadenbegrünung bei Gebäuden sowie Grünflächen auf Grundstücken und im öffentlichen Bereich, in den Sommermonaten eine Verbesserung des Stadtklimas durch Verdunstungskühlung erreicht werden.
Prinzip der Retentionsentwässerung
Zum Hintergrund: Retention leitet sich von dem lateinischen Wort „retinere“ ab und bedeutet zurückbehalten. Im Bereich der Regenentwässerung steht der Begriff Retention damit für die geplante Rückhaltung von Regenwasser.
So verfolgen die Vorschriften zur Dachentwässerung eigentlich die Zielsetzung, das anfallende Regenwasser zügig vom Dach über Regenentwässerungsanlagen abzuleiten. Bei der Retentionsentwässerung wird das anfallende Niederschlagswasser allerdings nicht direkt vom Dach abgeleitet, sondern durch eine gedrosselte Entwässerung zurückgehalten.
Damit das gelingt, werden zur Retentionsentwässerung größtenteils Dachabläufe mit speziellem Funktionsteil zur exakten Justierung der reduzierten Ablaufleistung eingesetzt. Die Dachabläufe müssen der DIN EN 1253-2 „Abläufe für Gebäude – Teil 2: Dachabläufe und Bodenabläufe ohne Geruchverschluss“ entsprechen. Der Hersteller des Dachablaufs muss durch Eigenprüfung die reduzierten Ablaufleistungen in Abhängigkeit zu den Anstauhöhen ermitteln und den Anwendern zur Verfügung stellen.
Retentionsentwässerung bei Gründächern
Eine optimale Lösung bei der Regenwasserrückhaltung bzw. Retention auf Flachdächern ist die Kombination mit einer Dachbegrünung. Im Vergleich zu nicht begrünten Retentionsdächern bieten begrünte Retentionsdächer viel bessere Möglichkeiten, das anfallende Regenwasser aufzunehmen (Zwischenspeicherung im Substrat und in der Drainageschicht) und für große Verdunstungseffekte zu nutzen (Verbesserung des Stadtklimas).
Zusätzlich bieten Dachbegrünungen noch folgende Vorteile:
Für Dachbegrünungen gelten grundsätzlich die „Richtlinien für Planung, Bau und Instandhaltung von Dachbegrünungen (Dachbegrünungsrichtlinien)“ der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL). Sie finden Anwendung bei Intensivbegrünungen, einfachen Intensivbegrünungen und Extensivbegrünungen auf Dächern und Decken, zum Beispiel Hallendächern, Dachterrassen, Tiefgaragen und anderen Bauwerksdecken mit einer Überdeckungshöhe bis 2 m.
Intensivbegrünungen sind nur durch eine intensive Pflege mit regelmäßiger Wasser- und Nährstoffversorgung dauerhaft zu erhalten. Die verwendeten Pflanzen stellen sehr hohe Ansprüche an den Schichtaufbau der Dachbegrünung. Intensivbegrünungen können zum Beispiel aus Stauden, Gräsern, Gehölzen, im Einzelfall auch Bäumen, sowie Rasenflächen bestehen.
Einfache Intensivbegrünungen sind in der Regel mit Gräsern, Stauden und Gehölzen ausgebildet. Die verwendeten Pflanzen stellen geringere Ansprüche an den Schichtaufbau. Auch der Aufwand für die Erstellung und die Pflegemaßnahmen sind grundsätzlich geringer als bei der Intensivbegrünung.
Extensivbegrünungen hingegen sind naturnah angelegte Vegetationsformen, die sich weitgehend selbst erhalten und weiterentwickeln. Deshalb werden Pflanzen mit besonderer Anpassung an die mitunter extremen Standortbedingungen und mit hoher Regenerationsfähigkeit verwendet. Extensivbegrünungen sind mit relativ niedrigem Aufwand herstellbar und auch der Pflegeaufwand ist im Normalfall sehr gering.
Dächer mit extensiver Begrünung können im Jahresmittel etwa 60 bis 90 % des Gesamtniederschlags zurückhalten; intensiv begrünte Dächer erreichen einen Wert von fast 99 %. Örtliche Bedingungen wie die Niederschlagsmenge, Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit sowie die Vorsättigung des Substrates und die Häufigkeit der Niederschlagsereignisse haben dabei einen Einfluss auf die Regenrückhaltefähigkeit des Daches.
Das Wasserspeichervermögen kann je nach Dachbegrünungssystem bei extensiv begrünten Dächern etwa zwischen 20 und 50 l/m² variieren; bei intensiv begrünten Dächern etwa zwischen 40 und 320 l/m². Zu beachten ist, dass mit zunehmendem Wasserspeichervermögen sich die statische Belastung des Daches durch die Dachbegrünung erhöht.
Planungs- und Bemessungsgrundsätze
Da bei Retentionsdächern mit höheren Lasten zu rechnen ist, sollte die Ausführung der Tragkonstruktion in Massivbauweise erfolgen. Hierbei muss die statische Last, die sich aus dem errechneten Regenrückhaltevolumen plus der Anstauhöhe für die Notentwässerung ergibt, sicher aufgenommen werden können. Zur Durchführung des Standsicherheitsnachweises müssen dem Statiker die errechneten Wasserstände und Gewichte mitgeteilt werden.
Retentionsdächer mit gedrosseltem Abflussvermögen sollten mit einem Gefälle von nahezu 0 % ausgeführt werden, damit sich das Regenwasser über die ganze Fläche gleichmäßig verteilen kann. Gefällelose Dächer stellen in Deutschland keine Sonderlösung dar, sondern können in begründeten Fällen gemäß Flachdachrichtlinie und DIN 18531-1 „Abdichtung von Dächern sowie von Balkonen, Loggien und Laubengängen – Teil 1: Nicht genutzte und genutzte Dächer – Anforderungen, Planungs- und Ausführungsgrundsätze“ geplant und ausgeführt werden.
Wenn die Regenwassermenge die maximal mögliche Retentionswasserhöhe überschreitet, muss eine Notentwässerung auf schadlos überflutbare Grundstücksflächen erfolgen. Deshalb muss jede Retentionsdachfläche über mindestens eine Notentwässerung verfügen. Aus Sicherheitsgründen sollte die Notentwässerung allein den Jahrhundertregen (r5,100) sicher ableiten können.
Auf eine Notentwässerung kann nur in Ausnahmefällen verzichtet werden. Im Kommentar zur DIN 1986-100 heißt es hierzu: „Nur bei planmäßig vorgesehener Regenrückhaltung auf Flachdächern in Massivbauweise, die dafür statisch berechnet sind, kann auf eine Notentwässerung verzichtet werden. Dabei sollte die Dachkonstruktion einen Einstau bis zur Attikahöhe aufnehmen können“.
Bei der Ermittlung der Retentionsflächen werden lediglich die Flächen berücksichtigt, auf denen sich Regenwasser anstaut. Flächen von Dachbauteilen – wie zum Beispiel Lichtkuppeln – werden nicht als Retentionsflächen angerechnet. Bei Retentionsdächern mit temporärer (zeitweiser) Rückhaltung sollte das Rückhaltevolumen nach Arbeitsblatt DWA-A 117 „Bemessung von Regenrückhalteräumen“ ermittelt werden.
Die Planung und Bemessung der Dachentwässerungsanlage sowie der Notentwässerung muss nach DIN 1986-100 „Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke“ sowie DIN EN 12056-3 „Schwerkraftentwässerungsanlagen innerhalb von Gebäuden – Teil 3: Dachentwässerung, Planung und Bemessung“ erfolgen. Bei Dachbegrünungen gelten zusätzlich die Vorgaben der FLL-Dachbegrünungsrichtlinien.
Zur Bemessung des Rückhaltevolumens sowie der Dach- und Notentwässerung ist es erforderlich, die aktuell gültigen Regenspenden des Deutschen Wetterdienstes Kostra-DWD-2020 zugrunde zu legen. Zusätzlich sind die Bestimmungen der Flachdachrichtlinie zu beachten.
Ausführung
Bei nicht begrünten Retentionsdächern gelten für die Dachausführung (Dampfsperre, Dämmung, Dachabdichtung etc.) die Vorschriften der Flachdachrichtlinie. Bei begrünten Retentionsdächern sind zusätzlich die Vorgaben der FLL-Dachbegrünungsrichtlinien anzuwenden. Durch das planmäßig angestaute Niederschlagswasser darf es zu keinem Wassereintritt bei Durchdringungen, An- und Abschlüssen, Ein- und Ausgängen oder in das Mauerwerk kommen. Deshalb soll das Dach bis zur Attikaoberkante wasserdicht ausgeführt werden.
Die Dachentwässerung sowie die Notentwässerung müssen nach den Vorschriften der DIN 1986-100 ausgeführt werden. Bei Dachbegrünungen gelten zusätzlich die Anforderungen der FLL-Dachbegrünungsrichtlinien.
Bei Retentionsdächern mit Dachbegrünung darf der Zufluss zu den Notüberläufen/Notabläufen durch den Schichtaufbau der Dachbegrünung, durch Randeinfassungen oder durch sonstige Hindernisse nicht beeinträchtigt werden. Der Nahbereich der Notüberläufe/Notabläufe ist so zu gestalten, dass das Wasser ungehindert abfließen kann und jederzeit eine Sichtkontrolle möglich ist. Dieser Bereich ist von Bewuchs frei zu halten.
Inspektion und Wartung
Zur Gewährleistung einer dauerhaft einwandfreien Funktion müssen bei Dachabläufen und Notentwässerungen regelmäßige Inspektionen und Wartungen durchgeführt werden. In der geltenden Norm DIN 1986-3 „Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke – Teil 3: Regeln für Betrieb und Wartung“ werden in Tabelle 1 entsprechende Anforderungen an die Inspektion und Wartung von gedrosselten Dachabläufen und Notentwässerungen gestellt. Auf den Abschluss eines entsprechenden Wartungsvertrages wird hingewiesen. Für die Pflege und Wartung von Dachbegrünungen gelten die Vorgaben der FLL-Dachbegrünungsrichtlinien.
Fazit
Bei der Planung, Bemessung und Ausführung von Retentionsentwässerungsanlagen bei Flachdächern ist eine genaue Koordination zwischen Architekten, Sanitärfachleuten, Statikern sowie den beteiligten Bedachungs- und gegebenenfalls Begrünungsfachleuten erforderlich. Die Bemessung von Retentionsdächern muss, bezogen auf die maximale statische Belastung, in Zusammenarbeit mit dem Statiker erfolgen.
Bei fehlender Erfahrung im Bereich der Retentionsentwässerungsanlagen sollten unbedingt die Beratungsfachleute der Hersteller hinzugezogen werden. Eine dauerhafte Vermeidung von kostspieligen Schäden und Reparaturen lässt sich nur durch regelmäßige Inspektion und Wartung der Retentionsentwässerungsanlagen einschließlich Notentwässerungen gewährleisten.
Quellen
DIN 1986-100: Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke – Teil 100: Bestimmungen in Verbindung mit DIN EN 752 und DIN EN 12056. Beuth Verlag (DIN Media), Dezember 2016
Heinrichs, F.-J.; Rickmann, B.; Sondergeld, K.-D.; Störrlein, K.-H.: Kommentar – Gebäude- und Grundstücksentwässerung – Planung und Ausführung – DIN 1986-100 und DIN EN 12056-4“. 6., überarbeitete Auflage, Beuth Verlag (DIN Media), 2016
DIN EN 752: Entwässerungssysteme außerhalb von Gebäuden – Kanalmanagement. Beuth Verlag (DIN Media), Juli 2017
DIN EN 12056-3: Schwerkraftentwässerungsanlagen innerhalb von Gebäuden – Teil 3: Dachentwässerung, Planung und Bemessung. Beuth Verlag (DIN Media), Januar 2001
DIN EN 1253-2: Abläufe für Gebäude – Teil 2: Dachabläufe und Bodenabläufe ohne Geruchverschluss. Beuth Verlag (DIN Media), März 2015
DIN 1986-3: Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke – Teil 3: Regeln für Betrieb und Wartung, Beuth Verlag (DIN Media), Mai 2024
Arbeitsblatt DWA-A 117: Bemessung von Regenrückhalteräumen. Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA), Dezember 2013
DIN 18531-1: Abdichtung von Dächern sowie von Balkonen, Loggien und Laubengängen – Teil 1: Nicht genutzte und genutzte Dächer – Anforderungen, Planungs- und Ausführungsgrundsätze. Beuth Verlag (DIN Media), Juli 2017
Flachdachrichtlinie: Deutsches Dachdeckerhandwerk – Regeln für Abdichtungen – mit Flachdachrichtlinie – Stand Dezember 2016 mit Änderungen November 2017, Mai 2019 und März 2020. 9., aktualisierte und erweiterte Auflage, Zentralverband des Deutschen Dachdeckerhandwerks – Fachverband für Dach-, Wand- und Abdichtungstechnik e. V. (ZVDH), Rudolf Müller Verlag, 2020
FLL-Dachbegrünungsrichtlinien: Richtlinien für Planung, Bau und Instandhaltung von Dachbegrünungen (Dachbegrünungsrichtlinien). Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. (FLL), 2018