SBZ: Herr Keller, Sie haben als Fachhandwerksbetrieb und als Innung weniger Schwierigkeiten als andere Unternehmer, Nachwuchs zu finden. Das hatten Sie schon, bevor es die ZVSHK-Kampagne „Zeit zu starten“ gab. Aus Ihrer Erfahrung heraus: Weshalb glauben Sie, ist das Handwerk für junge Leute eher unattraktiv und was können Betriebe dagegen tun?
Alfred Keller: Ein wichtiger Punkt ist das Zeitmanagement in unserem Beruf. Viele wünschen sich heutzutage einfach mehr Selbstbestimmung und Freiheiten im Arbeitsalltag. Da fällt es leicht zu sagen: „Handwerk tue ich mir nicht an, ich gehe in die Industrie, da fange ich um 7.30 Uhr an, habe um 15.30 Uhr Feierabend, bin Freitagmittag zu Hause und verdiene mein Geld.“ Das ist ein riesiger Faktor, die Mitarbeiter bei Laune zu halten und nicht überzustrapazieren. Das heißt für uns: Wenn die Firma Angestellte ohne Terminabsprache schnell noch kurz vor Feierabend zu den Kunden schickt, geht das auf die Moral. Wir achten darauf, mit Mitarbeitern auf Augenhöhe zu kommunizieren, ihnen gewissen Freiraum zu verschaffen und genügend Freizeit zu ermöglichen. Denn haben die Mitarbeiter Spaß an der Arbeit, geben sie das gerne weiter, auch an potenzielle Nachwuchskräfte. Das ist unser Thema.
SBZ: Also sollte man Wert darauf legen, Mitarbeitern die Vorteile gegenüber einem Job in der Industrie aufzuzeigen?
Keller: Genau. Die Industrie wird immer mehr bezahlen können als ‚normale’ Handwerksunternehmen. Wenn wir allerdings unsere Mitarbeiter nicht bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit drücken und mit ihnen auf Augenhöhe kommunizieren, dann werden wir natürlich punkten.
SBZ: Woran liegt es, dass trotz Mangel an Fachkräften weniger Betriebe ausbilden, also in den eigenen Nachwuchs investieren?
Keller: Viele Unternehmer haben einfach keine Lust. Oder sie meinen, sie würden damit nur drauflegen. Von etwa 70 Handwerksbetrieben in meiner Region bilden gerade einmal um die 25 überhaupt aus. Nur wenn wir unseren Beruf ernst nehmen und richtig vorleben, dann gewinnen wir auch interessierte junge Leute.
SBZ: Reicht das, um Azubis zu gewinnen? Engagement vorleben, Freizeit anbieten?
Keller: Wir als Innung bewerben das Handwerk auch direkt an weiterführenden Schulen und Gewerbeschulen. Wir sind auch auf fünf Bildungsmessen im Bodenseekreis vertreten, in Überlingen, Markdorf, Meckenbeuren, Friedrichshafen und Tettnang. Dafür haben wir einen Ausbildungsbotschafter geschaffen, der über die Handwerkskammer für genau diese Veranstaltungen in der richtigen Ansprache ausgebildet ist.
SBZ: Was muss der Botschafter können?
Keller: Er muss vor einer Klasse oder Gruppe stehen und seinen Beruf darstellen können. Sein Alter ist dabei auch ein Vorteil. Wenn er so zwischen 19 und 22 Jahre alt ist, ist der Altersunterschied zu den potenziellen Azubis noch gering. Er spricht mit denen halt auf einer anderen Ebene als ich, da muss ich als Chef dann auch mal zurücktreten und Vertrauen haben, dass der das gut macht. Der Botschafter wird im freien Reden und in der Satzbildung geschult und erfährt, wie eine Präsentation vorbereitet und gehalten wird. Dann bekommt er noch etwas Handwerkszeug und kann damit unseren Beruf gut vor jungen Menschen präsentieren.
SBZ: Darüber hinaus gehen Sie auch Schulkooperationen ein. Was bedeutet das?
Keller: Bei der Schulkooperation begleiten wir Eltern und Schüler ab der 5. Klasse. Das ist eine offizielle Bildungsgemeinschaft aus Schule, Handwerk und Handwerkskammer. Wir vertreten mehrere Handwerksberufe dort. Das geht in der 5. Klasse mit einem kleinen Schnuppertag los. In der 6. Klasse veranstalten wir gemeinsam einen Handwerkertag in der Schule. Da sind u. a. Zimmerer, Elektriker, Maurer und SHK präsent. In Gruppenarbeit machen wir kleine Projekte, die wir mit den Sechstklässlern praktisch umsetzen. Wir bauen zum Beispiel einen iPad-Ständer, aus Blech haben wir schon Trillerpfeifen gemacht. Das machen wir jetzt seit mehreren Jahren mit einer Schule, es führt zu vielen positiven Rückmeldungen.
SBZ: Und dann?
Keller: In der 7. Klasse steht ein dreitägiges
Praktikum an. Die interessierten Schüler erhalten die Adressen der Handwerksunternehmen. Damit können sie sich bei uns bewerben und das dreitägige Praktikum absolvieren. In der 8. Klasse bieten wir noch mal ein viertägiges Praktikum an und gleichzeitig einen speziellen Elternabend mit dem Themenschwerpunkt Berufswahl. Da sind das Arbeitsamt, Handwerk und die Schule in einem Boot. Wir begeistern damit die Eltern für eine handwerkliche Ausbildung.
SBZ: Spielen die Eltern eine Rolle bei der Berufsauswahl der Jugendlichen?
Keller: Der wichtigste Weg, Jugendliche zu gewinnen, sind die Eltern. Kein Facebook, keine Homepage, keine Zeitung. Sie entscheiden, was die Kinder für eine Ausbildung machen. Das ist auch eine Herausforderung, die Eltern abzuholen und ihnen bewusst zu machen, was wir eigentlich für High-Tech-Ausbildungsberufe anbieten. Da zeigt sich schon noch, dass wir ein Imageproblem haben. Uns auf ‚Gas-Wasser-Sch…’ zu reduzieren, das stellt das Berufsbild mit seinen Möglichkeiten einfach falsch dar.
SBZ: Und der Kontakt zu den Schulen ist ebenfalls wichtig?
Keller: Ja. Ein weiteres interessantes Projekt läuft seit dem Schuljahr 2018/2019 in der Gemeinschaftsschule Salem. Wir gestalten jede Woche am Donnerstagnachmittag in zwei Schulstunden den Unterricht mit dem Neigungsfeld Handwerk, quer durch unsere Berufe im Bodenseekreis. Der Ausbildungsmeister sowie ein Azubi gestalten den Unterricht mit praktischen Projekten, wie den Bau eines Vogelhäuschens vom Zimmerer oder eines Würfels aus Holz vom Schreiner. Im SHK bauen wir einen Trinkwasserfilter, unsere Klempner bauen Handyständer oder Mappen aus Blech – ein paar Beispiele. Das Projekt ist ein Pilotprojekt zwischen Handwerk und Schule, initiiert von mir. Schüler und Eltern, Schulverwaltung und Handwerk: Alle sind mit Begeisterung dabei.
SBZ: Wie lange treibt Sie das Thema Nachwuchsgewinnung schon um?
Keller: Es hat bei mir schon immer eine hohe Priorität gehabt, Nachwuchs zu gewinnen. Wir bilden seit 1999 aus, da war der erste Azubi bei uns. Wir haben seit sicherlich 15 Jahren immer alle drei Lehrjahre besetzt. Dazu sage ich aber auch gerne: Seit ich meine Ehrenämter im Fachverband und in der Innung bekleide, hat sich mein Wissensstand zum Thema Nachwuchs noch erweitert. Ein Beispiel dafür, wie wertvoll die Berufsorganisation für Handwerksunternehmer ist: Durch die Qualifizierung zum TOP-Ausbilder hat dies noch mehr an Qualität gewonnen.
SBZ: Was bieten Sie noch auf, um Nachwuchs zu finden und zu binden?
Keller: Wir treffen Sondervereinbarungen. Wenn beispielsweise Azubis gute Noten schreiben, dann bekommen die eine kleine Entlohnung. Der beste Geselle erhält zusätzlich 300 Euro als Bonus, wenn er mit der Prüfung fertig ist. Diese Boni sind einmalig. Die beiden Besten der Kreishandwerkerschaft bei uns im Bodenseekreis bekommen zudem ein Jahr lang einen Smart kostenlos zur Verfügung gestellt, der Drittbeste erhält immerhin noch ein Stipendium in Höhe von 1200 Euro für Fortbildungen.
Außerdem gibt es noch Sonderzahlungen für besondere Ausbildungsanstrengungen, das ist sogar tariflich festgehalten. Bei einem Notendurchschnitt von z. B. 2,0 bis 2,3 sind das immerhin 40 Euro zusätzlich pro Monat im Ausbildungsjahr.
SBZ: Macht das klassische Werben um Azubis noch Sinn, etwa eine Anzeige schalten?
Keller: Nein. Nach meiner Erfahrung geht es nur über persönlichen Kontakt. Das Allerbeste und das Wichtigste dabei: ein Praktikum. Da kommt ja eigentlich erst ein richtiges Kennenlernen zustande. Das muss man nutzen, um die jungen Leute zu begeistern und zu binden. Praktikanten kriegen zum Beispiel bei uns gleich ein Firmen-T-Shirt, wenn sie kommen.
Sie sollen sich wohlfühlen, so als ob sie dazugehören. Der persönliche Kontakt zu den Jugendlichen und deren Eltern ist der Erfolgsgarant.
SBZ: Was sind denn in den Elterngesprächen die schlagkräftigsten Argumente?
Keller: Dass es hier nicht mehr nur um ‚Gas-Wasser-Sch…’ geht, sondern dass wir einen zukunftsorientierten, sicheren Beruf anbieten, mit sehr vielen Weiterbildungsmöglichkeiten. Ein Meister ist doch zwischenzeitlich mehr wert als ein Bachelor, die Verdienstmöglichkeiten sind hoch. Ein ausgelernter Geselle hat heute mehr Geld im Handwerk, als wenn er bei der Industrie anfängt. Das sind die Argumente für die Eltern. Man zeigt ihnen, was ihr Kind so alles machen kann, das wissen die meisten nicht.
SBZ: Woran liegt es, dass SHK-Berufe immer noch schräg angesehen werden?
Keller: Ich denke, weil sich die vergangenen 15 Jahre einfach keiner einen Kopf darüber gemacht hat, das Berufsbild nach außen besser zu repräsentieren. Lange hieß es doch: „Wenn du nichts taugst, gehst du ins Handwerk.“
Heute haben wir aber viel mehr Abwechslung und Anspruch in den Bereichen Sanitär, Heizung, Klima und Elektrotechnik sowie Büromanagement. Jeden Tag Kundenkontakt, der Umgang mit Menschen ist wichtig. Da haben wir ständig neue Herausforderungen. Wenn man das den Eltern vermittelt, was da eigentlich dahintersteckt, dann macht es bei denen ‚Klick’.
SBZ: Azubis gewinnen ist eine Sache, aber wie funktioniert es, Azubis und später Gesellen zu halten?
Keller: Was wir – das Unternehmen Keller – machen, ist leistungsorientiert zu bezahlen. Auch Urlaubsgeld und solche Dinge. Zusätzlich bekommen alle eine Altersversorgung, eine Pensionskasse. Manche zahlen teilweise 200 Euro dafür im Monat ein. Wir arbeiten also mit mehr Netto vom Brutto. Die Arbeitnehmer bekommen Einkaufsgutscheine, Tankgutscheine, wir haben da verschiedene Modelle. Durch diese Möglichkeiten haben die Mitarbeiter zwischen 80 und 300 Euro netto mehr im Monat. Wir zahlen diese Beiträge und Organisieren die Umsetzung für die Mitarbeiter. Diesen Aufwand legen wir on top noch mal drauf. So versuchen wir, die Leute weiter zu begeistern, sie an uns zu binden.
SBZ: Herr Keller, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Info
Unterstützung durch die Ausbildungsinitiative
Unter dem Motto „Zeit zu starten“ will die Kampagne der SHK-Berufsorganisation mit ihren Informations- und Werbematerialien Schülerinnen und Schüler bei ihrer Berufswahl für eines der vier Gewerke im SHK-Handwerk begeistern. Begleitet von intensiver Marktforschung hat der ZVSHK gemeinsam mit seinen Landesverbänden die einzelnen Maßnahmen der Nachwuchsinitiative erarbeitet.
Die Ausbildungskampagne richtet sich direkt an junge Menschen und soll das Interesse für die vier SHK-Berufe Anlagenmechaniker/in SHK, Behälter- und Apparatebauer/in, Klempner/in sowie Ofen- und Luftheizungsbauer/in wecken. Zielgruppe sind Schülerinnen und Schüler der Klassen 8 bis 10, die ein Schülerpraktikum absolvieren müssen.
Auf der Kampagnen-Website finden Schüler und Jugendliche alle Informationen zu den vier Gewerken, Tipps für die Bewerbung und mögliche Ausbildungsbetriebe in der Nähe. Die Kampagne wird durch Social-Media-Auftritte flankiert.
Die Initiative versteht sich als Hilfe zur Selbsthilfe für Innungsbetriebe. Diese erhalten bei ihrem Landesverband umfassende Unterstützung bei der Werbung um potenzielle Auszubildende. Es gibt Kurzfilme, Infoflyer sowie Vortragsvorlagen für Schüler. Das Angebot gilt exklusiv für Innungsmitglieder.