An inzwischen über 120 Gebäuden in der historischen Altstadt von Staufen im Breisgau sind Risse aufgetaucht. Inzwischen erhärtet sich der Verdacht, dass bei den Erdsondenbohrungen hinter dem Rathaus Grundwasser in eine etwa 75 m mächtige Gipskeuper-Schicht eingedrungen ist und es so mit großer Wahrscheinlichkeit zu dieser Rissbildung gekommen ist.
Der Quellvorgang ist noch nicht abgeschlossen
Ein Gutachten der Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart (MPA) geht von einer hohen Wahrscheinlichkeit aus, benennt diese Quellungen durch Wassereintritt in Gipskeuper-Schichten aber nicht eindeutig als Ursache für die Hebungen und Senkungen an den Gebäuden. Dennoch zieht das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) im Regierungspräsidium Freiburg Konsequenzen aus dem Bohrdebakel: Es empfiehlt in den Landesteilen mit ähnlichen geologischen Schichten Erdbohrungen dann zu stoppen, wenn Gips erbohrt wird.
Das in Wasser schwer lösliche Mineral Gips liegt typischerweise über Anhydrit-Schichten, die bei Zutritt von Wasser durch eine chemische Reaktion aufquellen, dadurch etwa 67 % an Volumen zunehmen und damit zu Geländehebungen führen. In der Altstadt von Staufen kam es nach Erdbohrungen von sieben Erdwärmesonden im September 2007 in bis zu 140 m Tiefe für eine geothermische Wärmepumpen-Anlage zu Hebungen von einem Zentimeter pro Monat, an einigen Stellen bis dato bis zu insgesamt 10 cm. Messungen im gesamten Stadtgebiet von Staufen deuten darauf hin, dass der Quellvorgang noch nicht abgeschlossen ist.
Die Autobahn A 81 buckelt sich um 2 Meter
Das Problem Gips, Gipskeuper und Anhydrit in Verbindung mit eintretendem Grundwasser ist in Baden-Württemberg nicht unbekannt. Das LGRB geht davon aus, dass rund 30 % des Untergrundes in Baden-Württemberg aus anhydritführenden Schichten besteht und deshalb bei Bohrungen und Tiefbauarbeiten erhöhte Vorsicht geboten sei. Da rund 50 % der kritischen Geologie in Wasserschutzgebieten oder in tieferen Erdschichten unterhalb üblicher Bohrtiefen für oberflächennahe Geothermieanlagen liegen, könne man in Baden-Württemberg von einer kritischen Landesfläche von etwa 15 % ausgehen. Einem besonderen Risiko unterliegen die Regionen Stuttgart, Tübingen, Heilbronn, Böblingen sowie Teile des Enz- und des Rems-Murr-Kreises.
Bekannte Beispiele für das außergewöhnlich starke Quell- und Schwellvermögen von Gipskeuper ist die Bodensee-Autobahn A 81 Stuttgart – Singen. Nach Untersuchungen des MPA Stuttgart hat sich die Autobahn am Standort Oberndorf innerhalb von 20 Jahren kumulativ um mehr als 2 m gehoben.
Gipsschicht limitiert die Tiefe der Erdsondenbohrung
Typischerweise liegen Anhydrit-Schichten in den kritischen Regionen Baden-Württembergs tiefer als 80 m unter der Erdoberfläche. Deshalb seien dort wegen der dann zu geringen Sondenlänge die Voraussetzungen für einen sinnvollen Einsatz von Erdwärmesonden nicht immer gewährleistet, so die LGRB-Stellungnahme. Empfehlung der Behörde: Sobald der Bohrauswurf Gips zutage fördere, sollte die Bohrung beendet werden. Generell empfiehlt das LGRB in den betroffenen Landesteilen Erdsondenanlagen von einem erfahrenen Geologen betreuen zu lassen.
In den anderen Bundesländern geben die jeweiligen Landesämter für Geologie Auskunft über mögliche Risiken durch Gipskeuper und Anhydrit. Ein bundesweites Kataster über geologische Profile gibt es derzeit nicht. Einen Anhaltspunkt über kritische geologische Zonen bietet die geologische Karte von Deutschland: Keuper und Gipskeuper sind erdgeschichtlich dem Trias zugeordnet.
Gutachter: „Der Standard bei Erdwärmesonden ist unzureichend“
Nachfolgend einige Auszüge aus dem Sachverständigengutachten der Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart (MPA)*
– Die Ursache für die Verformungen ... ist mit großer Wahrscheinlichkeit das so genannte Gipsquellen.
– Das zeitliche und räumliche Zusammentreffen der Hebungen und der Sondenbohrungen führt natürlich zu der Überlegung, dass die Bohrungen den Hebungsprozess verursacht haben.
– ... das sehr leistungsfähige Bohrverfahren mit Imlochhammer und Luftspülung kann zu Störungen des Untergrunds führen.
– Das Bohrverfahren mit Imlochhammer und Luftspülung ist sehr wirtschaftlich und leistungsfähig, stellt aber eine erhebliche Einwirkung auf den Untergrund dar. Schonendere Bohrverfahren hätten zu deutlich höheren Kosten geführt.
– Die Preise von 68853,40 Euro bis 77975,50 Euro sind für die gewünschte Leistung als niedrig anzusetzen. Sie sprechen für einen harten Wettbewerb
– Bei Bohrung 1 baute sich schnell ein artesischer Wasserdruck auf ...
– Aufsteigendes und absteigendes Grundwasser kann es nur geben, wenn die Verpressung unvollkommen ist. In einem Großteil der Fachliteratur zu Erdwärmesonden wird darauf hingewiesen, dass der gut verpresste Ringraum entscheidend ist für den Schutz des Grundwassers sowie die Funktionsfähigkeit und die Lebensdauer der Sonde. Dabei wird die perfekte Ringraumverpressung als Stand der Technik dargestellt.
– Unter Umständen hätte ein „sensibleres“ Vorgehen beim Bohren und eine sorgfältigere Verpressung (Anmerkung: der Bohrlöcher) die Schäden verhindert.
– Es hätte dem Bohrmeister gesagt werden müssen, dass er alle Sonden mit der feststoffreicheren Suspension zu verpressen hat.
– Wenn man den Standard bei Verpressankern nach DIN EN 15137 und Verpresspfählen nach DIN EN 14199 als Maßstab nimmt, ist der Standard bei Erdwärmesonden unzureichend.
– Nach dem Stand des Wissens und der Technik in der Geothermie zum Zeitpunkt der Planung und Ausführung hatten sie (Anmerkung: die Fachplaner und Fachfirmen) keinen Anlass, Bedenken anzumelden oder weitgehende Untersuchungen zu fordern.
– Nach den geologischen Erkenntnissen und dem zum Zeitpunkt der Erstellung der Schriftstücke gültigen Sicherheitsniveau waren die Auflagen ausreichend.
– Nach den allgemeinen Erfahrungen mit Gipskeuper-Quellen kann der Hebungsprozess Jahrzehnte andauern.
* Der Gutachter legt Wert darauf, dass es sich hier um ein Gerichtsgutachten handelt und nicht um einen Forschungsbericht. Die Fragestellungen sind durch den Antragsteller – die Stadt Staufen – bestimmt, der auch die Kosten des Gutachtens trägt.
Zwei ergänzende Infos
1. Eine detailgenaue Dokumentation der Ereignisse in Staufen findet sich unter http://www.stadt-staufen.de/Aktuelles/Nachrichten, ebenso das fast komplette Sachverständigengutachten.
2. Ab Juni 2009 will das LGRB die geologischen Daten der Problemregionen über das LGRB-Informationssystem „Oberflächennahe Geothermie“ Bauherren und Planeren zur Verfügung stellen.
http://www.lgrb.uni-freiburg.de, Menüpunkt „Geodatendienste“
Weitere Informationen
Unser Autor Wolfgang Schmid ist freier Fachjournalist für Technische Gebäudeausrüstung, München, E-Mail: wsm@tele2.de