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Wärmewende

„Die Wärmewende ist zum politischen Spielball geworden!“

Jan Rosenow: „Ich halte es für entscheidend, das Verhältnis vom Strompreis zum Gaspreis abzusenken.“

David Fisher

Jan Rosenow: „Ich halte es für entscheidend, das Verhältnis vom Strompreis zum Gaspreis abzusenken.“

Es ist momentan kompliziert mit der Wärmewende in Deutschland. Die Klimaziele im Gebäudebereich werden verfehlt und angesichts der bevorstehenden Neuwahlen gibt es keine klaren politischen Perspektiven, an denen sich Entscheider orientieren können.

Was die Politik jetzt tun sollte und welche Technologien für die Wärmewende entscheidend sind, darüber sprach Tim Geßler aus der Redaktion Wärmewende für die SBZ mit Jan Rosenow, Vizepräsident und Europäischer Direktor des Thinktanks Regulatory Assistance Project (RAP).

SBZ: Herr Rosenow, was würden Sie als politischer Berater der neuen Bundesregierung empfehlen, um die Wärmewende auf den Zielpfad zur Klimaneutralität im Jahr 2045 zu bringen?

Jan Rosenow: Wir brauchen ein vorausschauendes politisches Handeln und auch ein Interesse an einer langfristigen Transformation und nicht nur an der nächsten Wahl. Dazu müssen wir in den Debatten zurück zur Sachlichkeit. Die Wärmewende ist in den letzten Jahren zum politischen Spielball geworden und das hat viel kaputt gemacht.

Wenn die neue Regierung im Amt ist, sollte sie so schnell wie möglich den regulatorischen Rahmen festsetzen. Es muss beispielsweise schnell klar sein, was mit dem Gebäudeenergiegesetz (GEG) oder mit der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) passiert. Wenn dies nicht geschieht, werden die Leute weiter abwarten.

Als konkrete Maßnahme halte ich es für entscheidend, das Verhältnis vom Strompreis zum Gaspreis abzusenken. Hier wird der steigende CO2-Preis ein Stück weit helfen. Gleichzeitig sollten die Strompreise nicht weiter ansteigen, sondern im Idealfall sogar sinken.

Angesichts der riesigen Investitionen, die wir im Stromsektor vor uns haben, wird das natürlich nicht einfach. Aber mit der zunehmenden Elektrifizierung werden diese Kosten auch auf mehr und mehr Kilowattstunden verteilt. Die höhere Nachfrage gleicht die höheren Kosten also ein Stück weit wieder aus.

„Wir dürfen im Heizungssektor nicht dieselben Fehler machen, die wir bei anderen Zukunftstechnologien gemacht haben.“

Jan Rosenow: „Es ist wichtig, dass wir die Heizungsbranche nicht mit polemischer Politik nachhaltig schädigen.“

Tim Geßler

Jan Rosenow: „Es ist wichtig, dass wir die Heizungsbranche nicht mit polemischer Politik nachhaltig schädigen.“

SBZ: Der Streit um die GEG-Novelle hat zu einem erheblichen Absatzeinbruch nicht nur bei den Wärmepumpen geführt und die Heizungsbranche stark unter Druck gesetzt. Viele sehen hier die Politik in der Verantwortung. Was muss sich ändern?

Rosenow: Wir dürfen im Heizungssektor nicht dieselben Fehler machen, die wir bei anderen Zukunftstechnologien gemacht haben. In den Bereichen Elektromobilität, Solarenergie und Windkraft hat Europa massiv Markteinteile eingebüßt, vor allem zugunsten von China.

China hat früh erkannt, dass die Elektrifizierung eine immense Chance bietet. Denn damit kann man im eigenen Land vergleichsweise einfach eine wettbewerbsfähige Infrastruktur aufbauen und weltweit Marktanteile gewinnen. Und genauso ist es ja in den gerade genannten Branchen geschehen.

In der Heizungsindustrie wird der Großteil der Produkte heute noch in Europa hergestellt. Das zahlt nicht nur auf unsere Wirtschaft, sondern auch auf unsere Energiesicherheit ein. Und deshalb ist es ganz wichtig, dass wir diese Branche nicht mit polemischer Politik nachhaltig schädigen. Ansonsten laufen wir Gefahr, dass eine weitere Zukunftsbranche abwandert und wir Arbeitsplätze und Produktionsinfrastrukturen verlieren.

„Die Wärmepumpe ist die Schlüsseltechnologie für die Wärmewende.“

SBZ: Der Begriff der Technologieoffenheit wird häufig als Deckmantel dafür verwendet, dass sich nichts ändern muss. Sie plädieren stattdessen dafür, sich auf die heute zur Verfügung stehenden Optionen zu konzentrieren. Welche Technologien sind aus Ihrer Sicht für die Wärmewende entscheidend?

Jan Rosenow: Die Schlüsseltechnologie ist sicherlich die Wärmepumpe. Das gilt sowohl für Wohngebäude als auch für die Fernwärme. Gerade wenn wir die Fernwärmenetze dekarbonisieren wollen, ist die Nutzung von Abwärme und Umgebungswärme essenziell.

Dazu kommen komplementäre Technologien wie Solarthermie und Biomasse, die eher eine Nischenrolle übernehmen werden. Was nicht kommen wird ist Wasserstoff. Aufgrund der schlechten Wirtschaftlichkeit ist nicht abzusehen, dass dieser jemals einen signifikanten Anteil an der Wärmebereitstellung haben wird.

Wo Fernwärme keine Option ist, gibt es ein breites Spektrum an Zwischenlösungen von der einzelnen Wärmepumpe für das Gebäude bis hin zu Nahwärmenetzen, etwa für Quartiere oder kleine Dörfer. Bei den Nahwärmenetzen bieten sich dann vor allem große Erdwärmepumpen an.

Ganz wichtig bei Nah- und Fernwärme ist generell die Kombination mit ausreichend großen thermischen Speichern, um saisonale Schwankungen auffangen zu können. In Finnland wird derzeit der größte unterirdische Warmwasserspeicher der Welt mit einer Speicherkapazität von 90 Gigawattstunden gebaut. Das reicht, um eine Kleinstadt für ein Jahr mit Wärme zu versorgen und ist viel günstiger als die Nutzung von Batteriespeichern.

„Wenn wir zukünftig über die Energiewende reden, werden wir zuerst an Wärme denken.“

Jan Rosenow: „Viele aktuelle Szenarien prognostizieren eine stark zunehmende Elektrifizierung, sodass ein Großteil der Wärme irgendwann elektrisch erzeugt wird.“

BWP / KB

Jan Rosenow: „Viele aktuelle Szenarien prognostizieren eine stark zunehmende Elektrifizierung, sodass ein Großteil der Wärme irgendwann elektrisch erzeugt wird.“

SBZ: Da sind wir dann schon mitten im Thema Sektorkopplung.

Rosenow: Genau, und auch dafür sind thermische Speicher ideal. Sie ermöglichen es, überschüssige erneuerbare Energien als Wärme zu speichern und diese zu nutzen, wenn Wind und Sonne nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Auf der Stromseite werden wir entsprechend wahrscheinlich auch grünen Wasserstoff erzeugen. Optimalerweise koppelt man dabei die Abwärme der Elektrolyseure in Wärmenetze aus.

Das zeigt auch, wie eng die Verzahnung zwischen den Sektoren sein wird. Viele aktuelle Szenarien prognostizieren eine stark zunehmende Elektrifizierung, sodass ein Großteil der Wärme irgendwann elektrisch erzeugt wird. Der Wärmesektor wird also zu einem Teil des Stromsektors – und langfristig sogar zum größten Teil.

Das bedeutet: Wenn wir zukünftig über die Energiewende reden, werden wir automatisch zuerst an Wärme denken und nicht mehr ausschließlich an Strom, wie es heute noch der Fall ist.

SBZ: Herr Rosenow, vielen Dank für Ihre Einordnung und die Perspektiven zur Wärmewende in Deutschland.

Im dritten Teil des Interviews schauen wir uns die Lage auf dem europäischen Wärmepumpenmarkt an und vergleichen die Endkundenpreise in Großbritannien und Deutschland. Dieser Teil erscheint bald auf www.sbz-online.de.

Hier geht es zum ersten Teil des Interviews:  „Technologieoffenheit ist nicht nur verkehrt, sondern auch gefährlich!“ 
Darin warnt Jan Rosenow davor, das GEG im Wahlkampf zu instrumentalisieren. Zudem plädiert er für realistische Optionen und Planungssicherheit.

David Fisher

Dr. Jan Rosenow (Jahrgang 1979) ist Vizepräsident und Europäischer Direktor des Regulatory Assistance Project (RAP), einem weltweit agierenden Thinktank, der sich auf die Dekarbonisierung von Energiesystemen spezialisiert. Er berät wichtige Institutionen wie die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und die Internationale Energieagentur, um nachhaltige Energielösungen voranzutreiben. Als Wissenschaftler an den britischen Universitäten Oxford und Cambridge forscht, berät und schreibt er zum Thema Energie und wurde mehrmals zu einem der bedeutendsten Energieexperten der Welt gekürt. www.janrosenow.com