Der bestimmungsgemäße Betrieb von Trinkwasser stellt Sanitärprofis bereits seit Jahren vor schwer lösbare Probleme. Zum einen soll zentral erwärmtes Trinkwasser möglichst schnell an einer endständigen Armatur zur Verfügung stehen. Zum anderen soll Kaltwasser möglichst unter dem Grenzwert von 25 °C bleiben, um einem Legionellenbefall entgegenzuwirken. Doch eine unerwünschte Wärmeübertragung von PWH auf PWC in Technikzentrale, Schacht, Zwischendecke oder Vorwand macht oftmals einen Strich durch die Rechnung in der Sanitärtechnik. Zur Verdeutlichung: PWH bedeutet Potable Water Hot und steht im Sanitärbereich als gängiges Kürzel für Trinkwarmwasser, PWC bedeutet Potable Water Cold = Trinkwasser kalt.
Temperaturregeln werden nicht erfüllt
Deshalb war es für die Fachhochschule Münster/Burgsteinfurt auf dem 20. Sanitärtechnischen Symposium am 20. Februar 2020 wichtig, dafür geeignete Lösungsansätze aufzuzeigen. Pascal Lehmler (Geberit) konzentrierte sich in seinen Ausführungen zu den nötigen Temperaturen im Trinkwasserbereich nicht nur auf das, was in der Planungsphase rein rechnerisch gemäß den allgemein anerkannten Regeln der Technik als geboten erscheint. Vielmehr holte er die Praktiker dort ab, wo sie oftmals stehen. Nämlich vor dem Problem, den „Merkwürdigkeiten“ in bestehenden Anlagen auf die Schliche zu kommen.
Beispielsweise können Temperaturmessungen am Auslauf einer Waschtischarmatur ergeben, dass die 30-Sekunden-Regel (siehe Kasten) nicht erfüllt wird. Stattdessen dauert es oft weit länger als eine halbe Minute, bis auf der Kaltwasserseite kühleres Wasser als max. 25 °C nachströmt.
Der vergleichbare Mangel bei einer zentralen Warmwasserzirkulation: Deutlich länger als 30 Sekunden dauert es, bis Warmwasser mit mehr als 55 °C am Auslauf gemessen werden kann – vor allem in Liegenschaften mit einem Bestand verschieden alter Gebäudeteile zeigt sich oft Handlungsbedarf.
Transparenz schaffen
Was aber ist zielführend, damit die 30-Sekunden-Regel in der Anlagentechnik eingehalten wird? Als Voraussetzung für einen Check sieht Lehmler zunächst einmal die Notwendigkeit, dass ein Anlagenschema über die Trinkwasserversorgung zur Verfügung steht und sich auf aktuellem Stand befindet.
Anhand der dort verzeichneten Leitungswege lässt sich ermitteln, ob auch die ebenfalls geltende 3-l-Regel (siehe Kasten) für das Rohrleitungsvolumen z. B. in Einzelzuleitungen PWC eingehalten wird.
Zwar sei die 3-l-Regel in ihrer Auswirkung unpräzise, weil nicht gleichzeitig bestimmt werde, wie leistungsstark der Durchfluss sein wird (Einhebelmischer mit Wasserspar-Einsatz oder leistungsstarke Regenbrause?), in Kombination mit der 30-Sekunden-Regel werde jedoch eine probate Basis geschaffen, um den bestimmungsgemäßen Betrieb der Trinkwasserinstallation zu unterstützen.
Vorgaben nicht einheitlich
Apropos bestimmungsgemäßer Betrieb: Planer und Betreiber sehen sich mit wachsweichen Vorgaben konfrontiert, denn Richtwerte bzw. Empfehlungen für Temperatur oder Stagnation sind nicht einheitlich. Umweltbundesamt (UBA), DIN 1988 sowie DVGW ziehen die Grenze beim Kaltwasser bei max. 25 °C, aber empfehlen teilweise die Einhaltung von 20 °C.
Für zentrale Trinkwasserwärmer ist eine Austrittstemperatur aus dem Trinkwassererwärmer von 60 °C gefordert, doch gilt diese Mindesttemperatur nicht ohne Ausnahme. Bei einem dezentralen Trinkwassererwärmer für eine Gruppenversorgung (z. B. komplettes Bad) werden lediglich mindestens 50 °C Austrittstemperatur vorgegeben.
Die Stagnationsdauer differiert in noch größerer Bandbreite und reicht von vier Stunden (UBA-Empfehlung) bis zu 168 Stunden im DIN-Regelwerk. Aufgrund dieser unterschiedlichsten Anforderungen für die gesamte Branche folgerte Lehmler, dass die Prüf- und Analysemöglichkeiten im Betrieb immer wichtiger werden. „Einzelne Auffälligkeiten, die sich in einer Trinkwasseranlage erkennen lassen, darf man nicht isoliert betrachten. Man muss die Auswirkungen insgesamt bewerten“, appellierte er an die Sanitärexperten im Audimax. Temperatur, Zeit und Wassermenge seien gleichermaßen von Bedeutung, um zu einer fundierten Analyse kommen zu können. Dazu biete die 30-Sekunden-Regel eine gute Voraussetzung.
Ursache und Wirkung
Ob durch Temperaturmessung am Armaturenauslauf, durch Softwareunterstützung bei der Planung oder per Temperaturschreiber über lange Zeit: Lehmler zeigte verschiedene Wege auf, wie man Ursache und Wirkung im Zusammenspiel von Temperatur und Durchfluss in einer Trinkwasseranlage transparent machen kann. Und – wie er in einem Beispiel demonstrierte – kommt man vielleicht erst dann auf die richtige Spur, dass der fehlende hydraulische Abgleich Ursache dafür ist, dass eine Zirkulationsleitung stagniert.
Die Präsentation zum Vortrag hat der Fachbereich Energie Gebäude Umwelt (EGU) der FH Münster online gestellt unter der Adresse fh-muenster/egu/symposium 2020.
Info
30-Sekunden-Regel
Die DIN 1988-200 (Fassung 2012-05) legt im Kapitel 3.6 – Betriebstemperatur fest: „Bei bestimmungsgemäßem Betrieb darf maximal 30 Sekunden nach dem vollen Öffnen einer Entnahmestelle die Temperatur des Trinkwassers kalt 25 °C nicht übersteigen und die Temperatur des Trinkwassers warm muss mindestens 55 °C erreichen.“ Eine Ausnahme bilden Trinkwassererwärmer mit hohem Wasseraustausch (Kapitel 9.7.2.3) und dezentrale Trinkwassererwärmer (Kapitel 9.7.2.4).
3-l-Regel
Das DVGW-Arbeitsblatt W 551 gibt vor, dass Stockwerks- und/oder Einzelzuleitungen mit einem Volumen von weniger als 3 l ohne Warmwasserzirkulation realisiert werden können. Im Umkehrschluss heißt das vereinfacht, dass an jeder Entnahmearmatur nach dem Ablauf von 3 l Warmwasser mindestens 55 °C erreicht werden müssen. Für das Kaltwasser gilt, dass Einzelzuleitungen so kurz wie möglich sein sollen. Die Obergrenze von 3 l Wasservolumen soll möglichst minimiert werden.