Spätestens seit dem Bruch der Ampelkoalition ist klar: Die Wärmewende ist kein Selbstläufer. Vor allem die CDU tut sich im Wahlkampf mit der Forderung nach mehr Technologieoffenheit hervor und droht gleichzeitig mit einer deutlichen Verschlechterung der Förderkulisse insbesondere für Wärmepumpen.
Über die derzeitige Situation in Deutschland und wie es mit der Wärmewende weiter gehen könnte sprach Tim Geßler aus der Redaktion Wärmewende für die SBZ mit Jan Rosenow, Vizepräsident und Europäischer Direktor des Thinktanks Regulatory Assistance Project (RAP).
SBZ: Herr Rosenow, Sie beraten Regierungen bei der Transformation hin zu erneuerbaren Energien. Die CDU hat angekündigt, das „Heizungsgesetz“ wieder zurücknehmen zu wollen, falls sie an die Regierung kommt. Wie schätzen Sie diese Maßnahme ein?
Jan Rosenow: Grundsätzlich ist es wichtig, dass es bei politischen Instrumenten Stabilität gibt. So finden wir etwa in den internationalen Märkten, in denen Wärmepumpen in großen Stückzahlen verbaut werden, diese Stabilität vor. Und in Märkten, wo sich die Politik ständig ändert und die Instrumente immer wieder abgeändert oder sogar zurückgezogen werden, da läuft der Markt nicht besonders gut. Langfristige Planungssicherheit für alle Beteiligten ist also ein wichtiger Faktor.
Und das sollte die Politik berücksichtigen, wenn sie möchte, dass wir die Wärmewende schaffen. Deshalb halte ich es für problematisch, die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) im Wahlkampf zu instrumentalisieren und was nach langen Diskussionen durch das Parlament gegangen ist, alles wieder aufzudröseln und von vorne anzufangen.
Insbesondere weil die Alternativen ja begrenzt sind: Sie können es allein über Förderung versuchen, was jetzt schon nicht besonders gut funktioniert. Sie können über den CO2-Preis gehen, der dann aber sehr, sehr hoch sein müsste, was auch zu Problemen führt. Und dann bleibt noch die Regulierung. Letztendlich braucht es alle drei Maßnahmen, und sie müssen gut ineinandergreifen. Wenn man ein Element davon rausnimmt, dann fällt das ganze Konstrukt wieder in sich zusammen.
Wenn man das Ziel der Klimaneutralität ernst nimmt, braucht es im Gebäudesektor eine Regulierung, die klar macht: Irgendwann ist Schluss mit dem Einbau von fossilen Heizungen.
„Technologieoffenheit bedeutet, dass die Leute weiter Gas-Heizungen einbauen dürfen.“
SBZ: Im Sinne der Technologieoffenheit will die CDU CO2-Grenzwerte auf Gebäudeebene einführen.
Rosenow: Grenzwerte sind Teil der Regulierung. Sie müssen allerdings so ausgestaltet werden, dass sie auch etwas bewirken. Aktuell haben wir das 65-%-Erneuerbare-Energien-Gebot im GEG. Natürlich kann man das auf den CO2-Ausstoß eines Gebäudes übertragen. Wenn man das stringent macht, kommt am Ende aber auch nichts anderes heraus.
Dafür wird es dann deutlich komplizierter, weil jedes Gebäude individuell berechnet werden muss. Das heißt, man fängt wieder bei null an und muss zunächst viel Vorarbeit leisten bis ein möglicher gesetzlicher Rahmen steht. Und dieser muss dann durch alle Instanzen gehen. Allein dieser Prozess, bis wir ein in diesem Punkt erneuertes GEG haben, dauert mindestens ein Jahr, wahrscheinlich länger. Wir würden also viel Zeit verlieren.
Dabei darf man auch nicht vergessen, dass es der CDU um Technologieoffenheit geht. Und Technologieoffenheit bedeutet, dass die Leute weiter Gas-Heizungen einbauen dürfen. Da brauchen wir uns nichts vormachen.
„Wir werden mehr Kommunen oder Stadtwerke sehen, die ihr Gasnetz schrittweise stilllegen.“
SBZ: Im November 2024 hat die MVV Energie in Mannheim angekündigt, ihr Gasnetz schrittweise bis 2035 stillzulegen. Das hat bundesweit für viel Aufmerksamkeit gesorgt und bei den Mannheimer Bürgern zu einem großen Aufschrei geführt. Wird dieses Beispiel Schule machen?
Rosenow: Ja, das wird es. Die Kommunen sind verpflichtet in den nächsten Jahren Wärmepläne aufzustellen. Dabei spielen verschiedene Kriterien eine Rolle, unter anderem auch wie ökonomisch sinnvoll eine Lösung ist. Und da würde es mich sehr wundern, wenn es viele Kommunen gibt, die am Ende sagen, wir machen ein neues Wasserstoffnetz oder wir behalten das Gasnetz und rüsten um auf Wasserstoff.
Es gibt natürlich viele kleinere Versuchsprojekte auf Quartiersebene, um Wasserstoff auch im Gasnetz zu nutzen. Aber bislang gibt es in Europa nicht eine einzige Stadt, die das flächendeckend umsetzen will. Der Grund dafür ist einfach: Die Effizienzvorteile von Wärmepumpen und Fernwärme sind so viel größer, dass die ökonomischen Mehrkosten von Wasserstoff einfach zu hoch sind.
Wir werden also in den nächsten Monaten noch mehr Kommunen oder Stadtwerke sehen, die den Mannheimer Weg gehen. Vielleicht nicht in der gleichen Geschwindigkeit, weil die Umsetzung für alle Beteiligten schließlich auch eine Herausforderung ist. Aber das wird kommen.
SBZ: Dann führt uns die Technologieoffenheit hier also auf einen falschen Pfad?
Rosenow: Ja. Die Idee, Technologieoffenheit über alles zu stellen, halte ich für nicht nur für verkehrt, sondern auch für gefährlich. Wir haben beispielsweise nicht mehr die Zeit, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu verzögern, nur weil wir vielleicht irgendwann Fusionsreaktoren haben. Das ist meines Erachtens eine Scheindebatte.
Wir wissen sehr genau, welche Technologien uns für die Energiewende in den nächsten zwei Jahrzehnten zur Verfügung stehen. Und deshalb müssen wir heute zwischen den realistischen Optionen abwägen. Alles andere führt am Ende dazu, dass für zu lange Zeit Stillstand herrscht.
„Großbritannien ist offener für Innovationen – etwa ein Quotensystem für Wärmepumpen.“
SBZ: Spätestens seit dem Koalitionsbruch holpert die Wärmewende in Deutschland nicht mehr nur, es knarzt gehörig im Gebälk. Ihre Wahlheimat Großbritannien befindet sich ebenfalls in diesem Transformationsprozess mit vielschichtigen Herausforderungen. Wo kann Deutschland vom Vereinigten Königreich lernen?
Rosenow: In Transformationsphasen ist es normal, dass es zu kontroversen gesellschaftlichen Debatten kommt. Das müssen wir akzeptieren und war in der Menschheitsgeschichte schon immer so. Es gibt immer Kräfte, die den Status quo beibehalten möchten, weil sie direkt oder indirekt – etwa über Wählerstimmen – davon profitieren.
Aber die Wärmewende lässt sich nicht mehr aufhalten. Es ist nur ein schwierigerer Prozess, als viele erwartet haben. In Großbritannien hat das Thema ebenfalls eine sehr bewegte Geschichte und aktuell sind die Diskussionen immer noch ziemlich groß. Allerdings ist das Land insgesamt offener für Innovationen und interessante Ansätze, die in Deutschland noch nicht so stark verbreitet sind. Ein Beispiel dafür sind smarte Stromtarife, wo die Regulierung deutlich fortschrittlicher ist.
SBZ: Ein weiteres interessantes Beispiel ist ein Quotensystem für Wärmepumpen. Wie genau funktioniert das?
Rosenow: Mit dem Quotensystem für Wärmepumpen gibt es in England jetzt ein sehr spannendes neues Politikinstrument. Heizungshersteller werden bald dazu verpflichtet, einen steigenden Anteil ihrer Produktpalette auf Wärmepumpen umzustellen. Also, wenn ich Gas-Heizungen verkaufe, muss ich jedes Jahr auch eine bestimmte Anzahl von Wärmepumpen verkaufen. Oder ich erwerbe Zertifikate von einem anderen Hersteller, der mehr absetzt oder nur Wärmepumpen anbietet.
Mit diesem Mechanismus können die Kosten der Transformation für die Endverwender reduziert werden, ohne dass es dafür eine staatliche Unterstützung braucht. Es ist ein marktbasiertes Modell, das den EU-weiten Flottenstandards für Automobilhersteller sehr ähnlich ist. Dieser Ansatz könnte auch für Deutschland interessant sein, weil er die Brücke zwischen einem harten regulativen Verbot und einer staatlichen Förderung schlägt. Auch lassen sich so konkrete Ziele besser einhalten, etwa 6 Millionen installierte Wärmepumpen bis 2030.
SBZ: Herr Rosenow, vielen Dank für Ihre Einschätzung zum aktuellen Stand der Wärmewende in Deutschland. Im zweiten Teil des Interviews werfen wir einen Blick auf die weitere Umsetzung und die dafür entscheidenden Technologien.
Der zweite Teil des Interviews erscheint bald auf www.sbz-online.de und beschäftigt sich näher mit der weiteren Umsetzung der Wärmewende: Welche Technologien sind entscheidend? Was passiert bei der Wärmepumpe? Wie kommen wir auf den Zielpfad zur Klimaneutralität?
Dr. Jan Rosenow (Jahrgang 1979) ist Vizepräsident und Europäischer Direktor des Regulatory Assistance Project (RAP), einem weltweit agierenden Thinktank, der sich auf die Dekarbonisierung von Energiesystemen spezialisiert. Er berät wichtige Institutionen wie die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und die Internationale Energieagentur, um nachhaltige Energielösungen voranzutreiben. Als Wissenschaftler an den britischen Universitäten Oxford und Cambridge forscht, berät und schreibt er zum Thema Energie und wurde mehrmals zu einem der bedeutendsten Energieexperten der Welt gekürt. www.janrosenow.com